Gutachten rüttelt an Image von Roche-Blockbuster
Probleme für den Pharmakonzern Roche: Erst musste die Firma einräumen, dass ihr Blockbuster Avastin nicht gegen Prostatakrebs hilft – jetzt zweifelt ein neues Gutachten an der Wirksamkeit des Medikaments auch bei anderen Krebsarten. Der Rauswurf aus dem Leistungskatalog der Kassen droht.
Basel – Erst kürzlich musste der Schweizer Pharmariese Roche eine Schlappe hinnehmen: Das Krebsmittel Avastin (Wirkstoffname Bevacizumab), das dem Konzern letztes Jahr weltweit 4,2 Milliarden Euro Umsatz einbrachte, HYPERLINK “http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,683206,00.html” \o “hilft nicht gegen Prostatakrebs” hilft nicht gegen Prostatakrebs. Das zeigte eine klinische Studie. Jetzt äußert der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Baden-Württemberg ganz grundsätzliche Zweifel: Bei dem Krebsmittel handele es sich um “ein marginal wirksames Medikament”, zitiert das “Handelsblatt” aus einem Gutachten der Prüfer. Die Verlängerung der Lebenszeit von Patienten sei in den Nachfolgestudien seit der Erstzulassung im Jahr 2005 nicht belegt worden.
Der MDK moniere, dass der Zusatznutzen des gegen Darm-, Brust-, Lungen- und Nierenkrebs eingesetzten Arzneimittels in keinem Verhältnis zu den monatlichen Therapiekosten von 5000 Euro stehe. Es bestehe “eine erhebliche Toxizität”. Teilweise hätten tödliche Komplikationen zugenommen, berichtet das Blatt.
Das von Roches US-Tochter Genentech entwickelte Medikament, das in der Zwischenzeit zum einem der wichtigsten Umsatzträger des Konzerns geworden ist, hungert Tumore aus. Es unterdrückt die Bildung neuer Blutgefäße. Mediziner nennen den Prozess Angiogenese. Roche will den Anwendungsbereich laufend ausweiten und testet in einem umfangreichen klinischen Programm den Einsatz gegen weitere Tumorarten.
Roche reagierte auf die Vorwürfe und wies sie zurück: Avastin sei mit mehr als 40.000 Patienten in klinischen Studien das weltweit am intensivsten untersuchte Krebsmedikament, fast 1000 Studien seien durchgeführt worden. Bisher seien mehr als eine dreiviertel Million Patienten mit Avastin behandelt worden und überall würden die Kosten von Krankenkassen übernommen. In den vergangenen fünf Jahren habe es die Überlebensvorteile bei einer Vielzahl von Tumorarten unter Beweis gestellt, erklärte ein Sprecher des Baseler Konzerns. Und in allen vier zugelassenen Indikationen sei Avastin die mit der höchsten Evidenz belegte Substanz.
Doch auch die Kritik an der evidenzbasierten Medizin mehrt sich: Scheinbar objektive Wirksamkeitsstudien seien vielfach verzerrt – vor allem dann, wenn es sich um Studien handele, die von Pharmaherstellern finanziert sind, sagt die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Auch die grundlegenden Bedenken der MDK-Gutachter teile die Arzneimittelkommission, heißt es im “Handelsblatt”. Für Kommissionschef Wolf-Dieter Ludwig sei Avastin nur ein Beispiel für den umstrittenen Nutzen auch anderer Präparate, die gegen Krebs, Rheuma, HIV oder in der Transplantationsmedizin eingesetzt werden. Ihr unkritischer Einsatz drohe die Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme weltweit zu sprengen. Ludwig fordere ein Frühwarnsystem, wie es in Großbritannien und Österreich existiere. So solle der unsinnige Einsatz teurer Präparate gestoppt werden.
Für die Industrie sind die Medikamente indes ein einträgliches Geschäft: In den vergangenen fünf Jahren sind dem Bericht zufolge allein die Ausgaben für die Krebsmittel um 285 Prozent gestiegen. Mit Avastin setzte Roche im vergangenen Geschäftsjahr 21 Prozent mehr als im Jahr zuvor um.
Für Roche könnte das neue Gutachten enorme Folgen haben: Denn auch der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (GBA) beschäftigt sich derzeit mit Avastin. Das Gremium überprüft, welche Mittel die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen – und welche nicht. Eine GBA-Sprecherin sagte SPIEGEL ONLINE, derzeit laufe ein Verfahren, um die Regeln zur Verordnung des Medikaments strenger zu fassen. In Zukunft dürfte Avastin nur noch dann einem Patienten gegeben werden, wenn zwei Ärzte das unabhängig voneinander befürworten. Diese Regelung sei für hochpreisige Medikamente mit “einem hohen Nebenwirkungsprofil” möglich.
Doch es könnte sogar noch dicker kommen: Es sei nicht auszuschließen, dass als letzte Konsequenz Avastin aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen gestrichen werde, zitiert das “Handelsblatt” GBA-Chef, Rainer Hess. cib/dpa-AFX/Reuters – 3.5.2010